Hintergrundinformation:
Sollte man überhaupt mit Pegida-Anhängern reden?
Von
Thomas
Fritz, web.de
Aktualisiert am 02. November
2015, 12:59 Uhr
Pegida-Demonstrationen fallen zunehmen
durch aggressive
Stimmung gegenüber Ausländern, Andersdenkenden oder
Journalisten auf. Sollte
man daher überhaupt mit Pegida-Anhängern sprechen?
Die Psychologin Lena
Kornyeyeva sagt, ein Gespräch ergebe nur Sinn, wenn
Grundsätze der
Menschlichkeit nicht infrage stünden.
Frau
Kornyeyeva, warum entwickeln
Menschen eigentlich Hass?
Kornyeyeva:
Die Ursache ist
immer ein innerer Konflikt. Jemand, der mit sich in Frieden lebt, hat
kein
Bedürfnis einen Anderen zu hassen. Aggression ist ein Produkt
der Angst oder
der Verunsicherung.
Gibt
es unter Pegida-Anhängern
typische Charaktereigenschaften?
Viele Eltern unterdrücken den
Machtinstinkt ihrer Kinder, da
sie glauben, dass er nicht ein Mittel der Selbstverwirklichung ist,
sondern
vielmehr schlecht sei. Durch diese Erfahrung der Abwertung lernen
Kinder nicht,
sich auf eine akzeptable Weise in der Gesellschaft durchzusetzen. Die
so
entmachteten Kinder versuchen später, andere Menschen auch
aggressiv zu
unterdrücken; sie suchen dann "Schuldige", an die sie die
eigene
negative Erfahrung weitergeben. Sie kompensieren so die
Unterdrückung ihrer
Durchsetzungskraft.
Sie
vermuten, dass viele
Pegida-Anhänger über eine autoritäre
Persönlichkeit verfügen. Was bedeutet das?
Meiner Ansicht nach sind Merkmale der
so bezeichneten
Autoritären Persönlichkeit – wie
Unterwürfigkeit, Aggression und
Fremdenfeindlichkeit – nur Ausdruck einer latenten Neigung
zur
"Machtanbetung". Machtanbetung entsteht durch subjektiv wahrgenommene
Entmachtung; die Machtanbeter wollen zu einer Gruppe gehören,
die ihnen
Verstärkung verspricht, und wollen sich gleichzeitig von den
Schwächeren
ent-identifizieren – womöglich auch mit aggressivem
Verhalten.
Sollte
man dann mit
Pegida-Anhängern überhaupt ins Gespräch
kommen oder wäre es besser sie zu
ignorieren?
Ein Gespräch macht nur Sinn,
wenn Grundsätze der
Menschlichkeit nicht in Frage stehen, etwa, dass jedes Menschenleben,
auch das
eines aus Syrien oder Afrika Flüchtenden, den gleichen Wert
hat. Man muss sich
zudem einig sein, dass politische Aufgaben nicht mit Hass, sondern nur
mit
verantwortlichem Handeln zu lösen sind. Insofern ist es
fraglich, ob es eine
Gesprächsbasis mit der Mehrheit der Pegida-Anhänger
geben kann. Aber jeder
Mensch ist individuell, und auch die Demonstranten in Dresden
können nicht alle
in einen Topf geworfen werden. Mit manchen wird man auch reden
können.
Führt
Abneigung oder Hass
gegenüber Pegida nicht selbst dazu, sich so zu verhalten wie
deren Anhänger?
Auch wenn man Menschen in ihrem
Handeln und Auftreten kritisiert,
sollte man die Argumente im Auge behalten und nicht den Anderen
abwerten. Wer
souverän, selbstsicher und auch sachlich bleibt, der wird sich
nicht in eine
negative Spirale von Hass und Abwertung hineinziehen lassen.
Ein
Beispiel: Ein Journalist sieht
bei einer Demo einen jungen Mann in einem T-Shirt mit islamfeindlichen
Motiven
und würde gern mit ihm über seine Meinung diskutieren?
Ein Machtanbeter wird nur eine
stärkere Macht anerkennen.
Alles was für ihn nicht bedrohlich aussieht, wird er
geringschätzen. Wenn man
einer Autoritären Persönlichkeit selbstsicher und
überzeugend gegenübertritt,
dann wird man Zugang zu ihr bekommen.
Und
falls das Gegenüber dennoch
laut und aggressiv wird?
Dieses Verhalten wäre ein
Zeichen dafür, dass der junge Mann
mit dem T-Shirt den Fragesteller nicht als Gegenmacht anerkennt.
Um gegen Gewalttätigkeit
anzukommen, hilft oft nur die Macht
des Staates – der dann auch konsequent gegen kriminelles
Verhalten handeln
muss.
Wenn
ein Pegida-Anhänger von
seinen Unwahrheiten oder falschen Statistiken überzeugt ist,
wäre es dann
ratsam, ihn darauf anzusprechen?
Die Pegida-Leute und viele
Verschwörungstheoretiker benötigen
Unwahrheiten als einen Treibstoff für ihr Handeln. Daher
rücken sie von ihren
liebgewonnenen und kolportierten Geschichten nur ungern ab.
Die
Menschen auf den Demos sind
erwachsen und haben sich meist über Jahre ihre politische
Meinung geformt. Kommt
man an sie überhaupt noch heran?
Erwachsensein bedeutet, für
sich selbst die volle
Verantwortung zu tragen und keine Identifikation mit einer Machtfigur
zu
suchen. Machtanbeter wie viele Pegida-Anhänger – es
ist kein Zufall, dass sie
oft eine Figur wie den russischen Präsidenten Wladimir
Putin
bejubeln – verhalten sich wie aufsässige Kinder. Man
sollte ihnen
entgegenhalten, dass es von individueller intellektueller Reife zeugt,
wenn man
ohne Hassparolen und mit gesellschaftlich akzeptierten Mitteln einen
politischen Diskurs führt.
Sie
sind Psychologin. Für eine
Therapie ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Ihnen und den
Patienten
wichtig. Hätten Sie Schwierigkeiten, einen
Pegida-Anhänger zu behandeln, etwa
weil sie seine extremen politischen Ansichten nicht teilen?
Da hätte ich keine
Schwierigkeiten. Ich arbeite mit Menschen;
Politik bleibt außerhalb des Gesprächs. Ein Mensch
ist immer mehr als seine
politischen Ansichten.
Dr. Lena
Kornyeyeva
ist promovierte Psychologin, Autorin und Bloggerin
(http://www.doktorlena.de).
Die gebürtige Ukrainerin arbeitet in einer Reha-Klinik in Bad
Kissingen sowie
in ihrer eigenen Praxis für psychologische Beratung.
P.S.: Groovty
fällt dazu noch ein, dass auch
Konstantin Wecker das Wesen der Bekloppten
so empfand. Denn in
„Gestern hams den Willi derschlogn“
singt u.a.:
„I hob eam glei gsagt: Des
san Geschlogne – die san
gfährlich...“
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